Peenemünde

Aggregat 4 oder Vergeltungswaffe 2 (V2) in Peenemünde

Dieses Jahr haben meine Familie und ich Urlaub auf der Ostsee-Insel Usedom gemacht. Daher hatte ich Gelegenheit, mir Peenemünde anzuschauen. Während des Zweiten Weltkrieges beherbergte die beschauliche Insel am nord-östlichsten Zipfel Deutschlands das damals größte Hochtechnologie-Forschungszentrum , in dem zeitweise rund 10000 Menschen arbeiteten. Hier entwickelten Wernher von Braun und seine Kollegen die erste serienreife Rakete mit Flüssigkeitstriebwerk. Bekanntlich diente diese Erfindung nicht friedlichen Zwecken wie bspw. der Erforschung der damals weitestgehend unbekannten Hochatmosphäre oder des Weltraums. Es handelte sich bei Peenemünde um ein Zentrum des Heeres zur Entwicklung neuer Waffen - der berüchtigten V2 . Neben der V2 (Vergeltungswaffe 2) wurde hier außerdem die V1 entwickelt - der weltweit erste Marschflugkörper. Der erste erfolgreiche Start einer Rakete von Peenemünde am 3. Oktober 1942 markiert sicherlich den Beginn des modernen Raketenfluges. Allerdings ist dieses Datum auch der Ausgangspunkt für den militärisch unbedeutenden Einsatz einer Teufelswaffe, die dennoch vielen unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat.

Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde


Als Deutscher tut man sich mit dem Peenemünder Erbe wahrlich nicht leicht. Auf der einen Seite sind die Fortschritte der Peenemünder Ingenieure und Techniker für die damalige Zeit wirklich außergewöhnlich. Das lag zum einen sicherlich an dem Genius der beteiligten Personen, andererseits aber auch an den massiven Investitionen des Militärs und der strikten Konzentration aller Kompetenzen in Raketenfragen in Peenemünde. Im Gegensatz dazu gönnten sich die Amerikaner vor Gründung der NASA mehrere parallele Raketenentwicklungen, die kaum aufeinander abgestimmt waren oder ihre Ergebnisse austauschten. Auf der anderen Seite starben mehr als 20000 Menschen bei der Produktion oder dem Einsatz der V2. Die Serienfertigung der V2 erfolgte zu Kriegsende außerhalb von Peenemünde im sogenannten " Mittelwerk " im thüringischen Harz. Hier schufteten tausende KZ-Häftlinge unter erbärmlichsten Bedingungen untertage. Die fertigen Waffen wurden anschließend auf europäische Metropolen abgeschossen - insbesondere London hatte unter dem heftigen Beschuß durch V1 und V2 zu leiden . Das tückische an diesen Waffen war ihre Geschwindigkeit: Bei Spitzengeschwindigkeiten von 5500 km/h war jede Flak quasi machtlos. War die Waffe zu sehen oder zu hören war es meistens auch schon zu spät. Dabei war die Treffsicherheit erbärmlich - sie betrug einige Kilometer. Somit diente diese Waffe niemals dem gezielten Beschuß militärischer Einrichtungen des Gegners. Vielmehr wurden die Vergeltungswaffen als Terrorwaffe gegen die Bevölkerung eingesetzt. Da die V-Waffen zuletzt unterirdisch produziert und mittels mobiler Abschußbasen quasi von überall abgefeuert werden konnten, war es für die Allierten sehr schwer, etwas gegen diese Waffen auszurichten.

Detail der Brennkammer


Von der damals riesigen Forschungsanlage ist heute nicht viel übrig geblieben. Erst haben die Briten die Anlage bombadiert. Dann folgte die Demontage und Verlegung der Produktion in das Mittelwerk durch die Deutschen. Nach Ende des Krieges bemächtigten sich die Siegermächte der Reste. Später nutzte die NVA das Gelände als Fliegerhorst und Marinestützpunkt, und NVA-Pioniere sprengten in den 60er viele übrig gebliebene Gebäudereste. Heute stehen noch das ehemalige Kraftwerk am Hafen, die Siedlungshäuser in Karlshagen sowie einige Hallen und kleinere Gebäude. Rund um Peenemünde erstrecken sich große Sperrflächen, die man aufgrund der Kampfmittelbelastung aus dem Weltkrieg bis heute nicht betreten kann. In diesen Gebieten befinden sich auch die Abschuß- und Testvorrichtungen im Nordosten der Insel, die man auf aktuellen Satellitenbildern noch erahnen kann. Im und um das Kraftwerk befindet sich das Historisch-Technische Informationszentrum Peenemünde. Den Besuch der Ausstellung kann ich sehr empfehlen.

Ansonsten habe ich noch nie einen Ort wie Peenemünde gesehen. Beim Spaziergang nach Besichtigung des Museums schossen mit fast die Tränen in die Augen! Der heutige Ort Peenemünde besteht im wesentlichen aus Ruinen, darunter auch häßliche Zweckbauten aus NVA-Zeiten. Die bewohnten Häuser konzentrieren sich in Hafennähe - darunter aber auch wirklich einige Schmuckstücke. Die Ortschaft Peenemünde hat an der Erbschaft zweier Diktaturen schwer zu tragen. Meiner Meinung nach ist es Aufgabe aller Deutschen, die Vermächtnisse an diesem Ort mit ganz besonderer Geschichte für die Nachwelt zu erhalten.

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Für diejenigen von Euch, die Interesse an der Peenemünder Geschichte haben, kann ich nur das Buch "Raketenspuren" von Volkhard Bode und Gerhard Kaiser ( Amazon ) ermpfehlen. Und ein Besuch der Insel Usedom ist in jedem Fall eine gute Idee.